Grundrechte für Europa - Die Europäische Union nach Nizza

- Zugleich Bericht über die Konferenz in Wien am 18. und 19. Dezember 2000 -

(Langfassung - gekürzte Fassung in DVBl. 2001, 345 ff.)

Von Assessor Dr. iur. Peter Szczekalla, Osnabrück[1]

 

Schon wenige Tage nach der feierlichen Proklamierung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union[2] (im Folgenden: GRC) am 07. Dezember 2000 in Nizza[3] fand im vorweihnachtlichen Wien eine herausragend besetzte Konferenz zu nahezu allen Fragen statt, die sich um die Gemeinschaftsgrundrechte im Allgemeinen und die Grundrechtscharta im Besonderen ranken. Veranstalter waren die Wirtschaftskammer Österreich und das Forschungsinstitut für Europafragen der Wirtschaftsuniversität Wien in Kooperation mit der European Community Studies Association (ECSA) Austria. Dem wissenschaftlichen Leiter der Konferenz, Univ.-Prof. Dr. Stefan Griller, war es gelungen, kurzfristig eine Reihe namhafter Experten aus Wissenschaft und/oder Praxis zu gewinnen, die ebenso aktuell wie fundiert und engagiert Stellung bezogen.

 

1.         Charta und Verfassung

 

Nach einer kurzen Begrüßung durch den Präsidenten der Wirtschaftskammer Österreich, Dr. Christoph Leitl, hielt die österreichische Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten, Dr. Benita Ferrero-Waldner, den Eröffnungsvortrag zum Thema "Die Europäische Grundrechtscharta - ein Schritt auf dem Weg zu einer Europäischen Verfassung?". Weil immer mehr Kompetenzen von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft verlagert worden seien und weil die Gemeinschaft immer "staatenähnlicher" geworden sei, habe die EU auch im Bereich des Grundrechtsschutzes immer "staatenähnlicher" werden müssen, so die Ministerin: "Wenn die Gemeinschaft heute Entscheidungen trifft, die früher die einzelnen Staaten selbst getroffen haben, dann hat sie dabei aus menschenrechtlicher Sicht die Grundrechte der Bürger in demselben Maße zu schützen, in dem die Verfassungen der Mitgliedstaaten die Grundrechte garantieren". Trotz der Menschenrechtsklausel in Art. 6 EUV habe bis vor kurzem ein "ausformulierter Grundwertekatalog" gefehlt, der den Menschen ihre Rechte deutlich vor Augen führe. Innerhalb von nur neun Monaten sei nun aber ein Dokument geschaffen worden, das die Rechtstraditionen aller gegenwärtig 15 Mitgliedstaaten ebenso berücksichtige wie einschlägige internationale Menschenrechtsverträge. Dem Konvent gebühre Dank für diese "große Leistung".

Allerdings werde auch von nahezu allen Seiten, sogar vom Papst,[4] Kritik geübt. Zuletzt habe etwa die renommierte britische Tageszeitung "The Times" den Text als "sinnlos" bezeichnet und ein Veto der britischen Regierung gegen ihre Annahme gefordert.[5] Ferrero-Waldner konnte dieser Kritik "in bestimmten Bereichen" zwar ein gewisses Verständnis entgegen bringen, doch wollte sie "grundsätzlich betonen", dass man "mit dem Text insgesamt durchaus zufrieden sein sollte". Er sei ein "Meilenstein". Denn der Schutz der Umwelt, der Verbraucher, der Kinder und der älteren Menschen finde sich in ihm ebenso wie grundsätzliche Antworten auf Fragen des Datenschutzes oder der Ethik in der Biomedizin. "Trotz all dieser modernen Elemente ist die Charta in weiten Teilen auch konservativ im besten Sinn", fand die Ministerin. Das gelte insofern, als sie "bewährte Grundrechtsstandards", wie jene aus der EMRK, inhaltsgleich übernehme. Auch sie habe Kritik an der vorliegenden Textfassung geübt, meine aber, "dass insgesamt sowohl Inhalt wie Prozedur als auch die umfassende Diskussion über die Grundwerte letztlich einen großen Erfolg darstellen". Beispielhaft hielt sie jenen Beobachtern, die meinten, es seien zu viele Köche an der Erarbeitung der Charta beteiligt gewesen, entgegen, dass erstmals ein Dokument für die Bürger Europas bewusst von einem sehr breiten Gremium erarbeitet worden sei. Das und die "völlige Transparenz" der Arbeiten könnten "für die Zukunft richtungsweisend" sein. Denjenigen, die die Charta für einen "klassischen Kompromiss" hielten, gab die Ministerin zu bedenken, dass der Entwurf sicherlich hinter manchen hochgesteckten Erwartungen zurück geblieben sei, etwa im Bereich des Minderheitenschutzes. Die Einwände von Rechtsexperten betreffend die Unübersichtlichkeit der Textfassung und die Vermischung von Regeln und Prinzipien hielt Ferrero-Waldner für "durchaus gerechtfertigt", da es oft unklar sei, ob es sich jeweils um ein subjektives Recht, ein Prinzip, ein Ziel oder eine Gewährleistungspflicht durch eine EG- oder EU-Institution oder einen Mitgliedstaat bei der Umsetzung von EG/EU-Recht handele. Aber gleichzeitig betonte die Ministerin, dass die Charta immerhin einen "Grundkonsens der europäischen Wertegemeinschaft" abbilde und dass es sich bei ihr um einen "zukunftsweisenden, modernen Katalog" handele, welcher Menschenrechte aller "Dimensionen" i.S.d. Wiener Menschenrechtskonferenz von 1993, also in ihrer Universalität, Unteilbarkeit und Interdependenz, berücksichtige. Auch könne die "sehr breit gefasste" Charta die "sehr vage Bestimmung" des Art. 6 EUV mit Leben erfüllen. Gerade durch die Verbindung dieser Vorschrift mit der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten und der Möglichkeit, bei einer Verletzung einzelnen Mitgliedstaaten im Wege des in Nizza neu gefassten Frühwarnsystems in Art. 7 EUV bestimmte Rechte abzuerkennen, erscheine die Charta als geeignet, hier beispielhaft die "Grundwerte" der Union zu konkretisieren. Außerdem demonstriere die Charta auch die Glaubwürdigkeit der Menschenrechtspolitik der Gemeinschaft nach außen.

Im Hinblick auf das künftige Verhältnis zur EMRK plädierte Ferrero-Waldner ganz offen für einen Beitritt. Nur so könne langfristig ein zweigleisiges System im europäischen Menschenrechtsschutz verhindert werden. Effektiv könnten die Grundrechte zudem nur dann umgesetzt werden, wenn die Charta Rechtsverbindlichkeit aufweise. "Die Charta als rein symbolische Geste kann der Glaubwürdigkeit einer effektiven Grundrechtepolitik der Union nicht genüge tun", so die Ministerin. Trotzdem war sie davon überzeugt, dass auch schon der gegenwärtige Status der Charta den EuGH in seiner Grundrechtsjudikatur leiten könne und werde. Fraglich sei, ob die Charta den ersten Schritt, vielleicht das künftige Kernstück für eine europäische Verfassung darstelle. Der EuGH habe den EG-Vertrag schon einmal als "Verfassungsurkunde der Gemeinschaft" bezeichnet.[6] Bei einer entsprechenden Analyse komme man tatsächlich zum Ergebnis, dass dieser Vertrag viele Elemente enthalte, die man auch in der Verfassung von Staaten finde. Das gelte jedoch nicht für alle Bestimmungen der Verträge, die im Laufe schwieriger Verhandlungen in der Abfolge von einzelnen Regierungskonferenzen erarbeitet worden seien. Viele schrecke im Übrigen der Terminus "Verfassung" ab, weil er oft mit einem "Staat Europa" in Verbindung gebracht werde. Die Ministerin war indes der Ansicht, dass auch die Union als internationale bzw. supranationale Organisation eine Verfassung haben könne, ohne deshalb gleich ein Staat sein zu müssen. Betrachte man aber die wirklich schwierigen Verhandlungen in Nizza (108 Stunden), so erscheine es schwer vorstellbar, dass Europa in absehbarer Zeit über eine leicht lesbare Verfassung verfügen könne, die geeignet wäre, den Unionsbürgern eine stärkere Verbundenheit mit dem europäischen Einigungswerk zu vermitteln. Gleichwohl habe man in Nizza mit der "Erklärung über die Zukunft der Union" schon einen Zeitplan und die Grundzüge für ein Verfahren festgelegt, in dessen Rahmen Fragen diskutiert werden würden, die wenigstens im Zusammenhang mit einer europäischen Verfassung stünden. Einzelheiten würden schon im nächsten Jahr beschlossen werden, bevor dieser Prozess dann im Jahr 2004 in eine neuerliche Regierungskonferenz münden werde. Ein konsolidierter, klar strukturierter Kompetenzkatalog werde sicher ein größeres Maß an Transparenz zeitigen. Doch gelte es, das bewährte Integrationsprinzip nicht in Frage zu stellen. Eine europäische Verfassung könne für alle, die in Europa leben, in großen Zügen und doch klar herausstreichen, was die EU tatsächlich ausmache. Sie könnte damit eine Bewusstwerdung all dessen herbeiführen, was bereits erreicht worden sei und welch positives Integrationspotential in der Union stecke. Es sei eine Vision, auf ein kurzes, klar formuliertes Dokument verweisen zu können, das Ausdruck dessen sei, was im Rahmen der Union bezweckt werde und welche Güter zu schützen die Union berufen sei.

 

2.         Grundrechtskonvent, Grundrechtscharta im Rechtsgefüge der Union (Nizza und die Zukunftsperspektive) und liberale Rechte in der Grundrechtscharta

 

Das erste Panel der Konferenz unter der Leitung von Dr. Reinhold Mitterlehner (Wirtschaftskammer Österreich) wurde mit einem präzisen und lebendigen Einblick in die Arbeit des Konvents durch den persönlichen Beauftragten des österreichischen Bundeskanzlers in diesem "Gremium",[7] Univ.-Prof. Dr. Heinrich Neisser (Univ. Innsbruck), seines Zeichens auch ehemaliger Zweiter Nationalratspräsident, eröffnet.[8] Obwohl die restriktiven Vorgaben von Köln und Tampere die Diskussionen in bestimmte Bahnen gelenkt hätten, sei man immerhin in drei Punkten darüber hinaus gelangt (Grundrecht auf Datenschutz [Art. 8], Asylrecht [Art. 18] und Recht auf gute Verwaltung [Art. 41 GRC] in Parallele zu Art. 6 EMRK mit drei neuen Orientierungen, welche inhaltlich aber nicht ganz so neu seien). Die anfängliche Skepsis hinsichtlich der administrativen Betreuung durch das Sekretariat des Rates sei später großer Erleichterung wegen dieser Arbeitsentlastung gewichen. Dem Präsidium sei eine wichtige Steuerungsfunktion zugekommen. Weil man nach dem Konsensprinzip vorgegangen sei, habe nie eine Abstimmung statt finden müssen. Die Methode der Diskussion in dem mit einer "eigenartigen Mischlegitimation" versehenen Konvent sei jedenfalls ein Novum. Allerdings habe es auch eine Mischung von "Arkanum" und öffentlichen Entscheidungsprozessen gegeben; die Kritik Voggenhubers[9] an Telefonaten einzelner Mitglieder mit den Regierungen der Mitgliedstaaten sei deshalb "nicht ganz aus der Luft gegriffen". Das Dokument sei vor allem für die politische Entwicklung von Relevanz. Wie Ferrero-Waldner bemängelte Neisser, dass die Charta eine Mischung von individuellen Rechten und Zielbestimmungen enthalte, die der "traditionellen Grundrechtsdogmatik" nicht entspreche. Die ständigen Bezugnahmen auf Gemeinschaftsrecht, nationales Recht und nationale Gepflogenheiten stellten die Kompromisse dar, die man im Hinblick auf das Vereinigte Königreich und Skandinavien habe eingehen müssen. Die Absicht des Konvents, die Menschenwürde (Art. 1 GRC) als "Grundrecht der Grundrechte" herauszustellen, sei nicht ganz gelungen: Die Menschenwürde sollte nicht nur für die Rechte des Kapitels 1, sondern für alle anderen leitend sein. Von den "Detailproblemen", an denen der Konvent zu scheitern gedroht habe, hob Neisser die unternehmerische Freiheit in Art. 16 GRC hervor, die als Gegengewicht für die von Frankreich gewünschte Aufnahme sozialer Rechte gedacht, in ihrer Formulierung aber nicht einmal im Konvent selbst entstanden sei. Die "Als ob-Philosophie" des Vorsitzenden, Roman Herzog, sei nicht ganz durchgehalten worden: Wenn es zu einer Rechtsverbindlichkeit der Charta komme, müssten Teile des Textes doch noch einmal formuliert werden. 

 

Prof. Dr. Meinhard Hilf (Univ. Hamburg) lotete sodann unter der Überschrift "Die Grundrechtscharta im Rechtsgefüge der Union - Nizza und die Zukunftsperspektive" u.a. aus, inwieweit das Konventmodell, wie gerade jüngst erst im Rahmen der allgemeinen Nizza-Kritik ("Konvent II") gefordert, aber auch mit Zurückhaltung von Ferrero-Waldner und Neisser angesprochen, als Vorbild für die Erarbeitung weiterer Reformschritte in der Gemeinschaft taugt.[10] Wenn man unter Verfassungsgebung das Recht verstehe, sich autonom eine Verfassung zu geben, dann gelte das für die EU so nicht. Er wisse nicht, so Hilf, ob die Bezeichnung "Konvent" angesichts der Vorbilder (Herrenchiemsee) und der Definition ("Zusammenkunft von Gleichgesinnten in klösterlicher Abgeschlossenheit") wirklich "glücklich" sei: Erstens habe es sich um einen "Bienenstock" in unübersichtlichen Parlaments- und Ratsgebäuden gehandelt, und zweitens hätten sich gerade keine Gleichgesinnten versammelt. Immerhin sei eine dreifache Öffentlichkeit hergestellt worden: Zum einen eine virtuelle über das Internet, zum anderen eine über die Anhörungen in Brüssel und schließlich eine über die Anhörungen der nationalen Parlamente. Bei über 1.000 Änderungsanträgen habe man "zum Glück" das Ratsverfahren und nicht das parlamentarische Verfahren von Rede und Gegenrede angewandt: Man spreche miteinander, und das Präsidium fasse zur nächsten Sitzung zusammen, wie weit man schon gekommen sei. Herzog habe hier den notwendigen Ausgleich hergestellt. Allerdings seien die Vertreter der Regierungschefs gleicher als die anderen Konventsmitglieder gewesen: Wenn sich diese verabschiedet hätte, wäre das Verfahren im Europäischen Rat gescheitert. Text und Verfahren würden "Stachel im Rechtsgefüge der Union" sein, prophezeite Hilf. Der EuGH werde jedenfalls bei Art. 6 EUV die Charta zugrunde legen, er könne gar nicht anders: Wo solle er denn sonst suchen, wenn sich alle Stellen (einschließlich aller nationalen Parlamente und des EP) dazu bekannt hätten? Der Text stelle jedenfalls einen "Indikator der Tradition" dar. Aus der Unterzeichnung der Charta lasse sich "eventuell" eine "gegenseitige Selbstbindung" der Präsidenten der drei Organe herleiten. Positiv vermerkte Hilf, dass die Charta außerhalb der Regierungskonferenz angenommen und somit nicht in die "Nacht der langen Messer" nach dem Motto "Wer sich zuerst bewegt, hat verloren" gefallen sei. Auf die Frage, ob der Konvent wiederholbar sei, gab er eine differenzierte Antwort: Dies sei bei einem unverbindlichen Text und den beiden "Sicherheitsnetzen" - Art. 53 GRC und Möglichkeit des EuGH, über den Text hinauszugehen - einfach, bei echter Rechtsverbindlichkeit aber ungleich schwerer. Vor einer "Nachbesserung" der Charta bei deren verbindlicher Annahme - entweder als Art. 1 EUV mit dem Nachteil des Wegfalls der Präambel oder als Dokument neben den Verträgen wie bei der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte - warnte Hilf abschließend: Die Grundrechtsdogmatik werde sich anhand der Charta entwickeln müssen. Auch in Deutschland habe man der Rechtsprechung sehr viel überlassen, wie man den mittlerweile 101 Bänden der amtlichen Entscheidungssammlung des BVerfG entnehmen könne.

 

Mit dem Thema "Die liberalen Rechte der Grundrechtscharta im Vergleich zur Europäischen Menschenrechtskonvention" beschloss Univ.-Prof. Dr. Michael Holoubek (WU Wien) das erste Panel. Nach einer detaillierten Bestandsaufnahme der liberalen oder "bürgerlichen" Freiheits- und Gleichheitsrechte machte er im Vergleich zwischen Charta und EMRK drei große Gruppen aus: Erstens Textidentische Rechte (z.B. das Folterverbot in Art. 4), zweitens Weiterentwicklungen von Konventionsrechten durch formulierungsmäßige Präzisierungen sowie durch eigene Rechte, die in Konventionsrechten angelegte Schutzbereiche in eigenständigen Grundrechtsverbürgungen weiterentwickelten (Achtung der Kommunikation in Art. 7, Menschenhandelverbot in Art. 5), und schließlich Rechte, die in der EMRK gar nicht vorkämen (Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten in Art. 15, unternehmerische Freiheit in Art. 16). Der Aufbau der Charta folge dabei keiner besonderen Systematik. Der von ihr an Stelle spezieller Gesetzesvorbehalte gewählte "allgemeine Beschränkungsvorbehalt" in Art. 52 Abs. 1 sei nur im Zusammenhang mit der eigens auf "grundrechsrechtsparallele" Verbürgungen in der EMRK abzielenden "Schrankenschranke" des Art. 52 Abs. 3 GRC verständlich: Diese normiere einen "Vorrang" der - speziellen - Schrankenregelung der EMRK auch für die entsprechenden Charta-Rechte. Es gelte ein "Günstigkeitsprinzip zugunsten der Konventionsrechte". Dass man einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt gewählt und sich dadurch auf die Tatbestandsebene habe konzentrieren können, sei der Preis für das Zustandekommen der Charta überhaupt gewesen. Im Übrigen brächten auch die speziellen Gesetzesvorbehalte der EMRK wohl kaum ein Mehr an Rechtssicherheit und Transparenz. Im Ergebnis konstatierte Holoubek ähnlich wie Hilf, dass die Garantien der Charta wie alle Grundrechte auf Konkretisierung und Weiterentwicklung durch die Gerichte angewiesen seien, so dass das Dokument zu einem "lebendigen Instrument"[11] werden würde. Inhalt der Grundrechte sei das, was die Höchstgerichte aus ihnen machen würden. Die einzelnen Artikel seien nur "Wegweisungen", in welche Richtung welche Rechte geschützt sein sollten. Wie vor ihm schon Ferrero-Waldner und Neisser war Holoubek der Ansicht, dass die Charta auch "kein Grundrechtslehrbuch", sondern einen "politischen Text" darstelle. Man sehe ihr an, dass sie nicht ausschließlich von Professoren geschrieben worden sei. Deshalb sei man wohl auch überhaupt fertig geworden, und deshalb werde sie sehr wohl auch ein Erfolg werden. Es sei ein Leichtes, sich über die Unzulänglichkeiten der Charta lustig zu machen. Was bleibe, seien zu vage Formulierungen und Formelkompromisse. Die Kritiker hätten sicher alle recht, meinte der Referent mit deutlicher Ironie: Sie hätten eine bessere Charta schreiben können, wenn sie nur gefragt worden wären. Hätte man indes in den fünfziger Jahren die damaligen Kritiker gefragt, dann hätte es wohl auch die EMRK nie gegeben. Grundrechtskataloge entstünden nun einmal selten am grünen Tisch umfassender akademischer Diskussion, sondern fast immer nur unter Druck.

 

In der Diskussion sprach Prof. Dr. Georg Ress (Straßburg) u.a. die Frage einer möglichen Ausweitung der Kompetenzen durch Annahme von Schutzpflichten, etwa im Bereich des Umwelt- und Verbraucherschutzes, an. Hilf meinte, dass durch Schutzpflichten keine schleichende Kompetenzerweiterung eintreten solle, sei die Position der Engländer gewesen. Gleichwohl solle man der Rechtsprechung jeden Raum gewähren, wie der Bananenfall zeige. Holoubek sprach insoweit von einem "Placeboeffekt" der Erklärungen, die Kompetenzen nicht auszuweiten.

 

3.         Soziale Rechte in der Grundrechtscharta und die Wirtschaftsordnung (Österreichs)

 

Das zweite Panel unter Vorsitz von Univ.-Prof. Dr. Heinrich Schneider (Univ. Wien) begann Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk (Univ. Wien) mit einem Vortrag über "Die sozialen Rechte der Grundrechtscharta vor dem Hintergrund des EG-Rechtsbestandes und im Vergleich zur Europäischen Sozialcharta" (ESC). Aufgrund einer genauen Textanalyse arbeitete er Gemeinsamkeiten und Unterschiede unter weiterer Einbeziehung der Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 detailliert heraus. Die "Meistbegünstigungsklauseln" in Art. 52 und 53 GRC stellten vielleicht sogar eine "List der Geschichte" dar, so der Referent: "À la longue" könnte sich daraus eine Art Rückschrittsverbot ergeben. Einen originellen Beitrag lieferte er zudem zur Frage der Rechtsverbindlichkeit der Charta: Weil es Normen an sich nicht gäbe, sondern nur Normerwartungen und Normvorstellungen (Geltungserwartungen), verliere für ihn die scharfe Zäsur "Rechtsverbindlichkeit oder nicht" ohnehin ihre Schärfe. Insofern betreibe er auch nur "virtuelle Dogmatik". Insgesamt enthalte die Charta wenig Neues, sondern stelle nur eine "Kompilation mit Kompromisscharakter" dar, meinte Funk abschließend. Ihr Wert als "präkonstitutionelles Gebilde" sei aber auch "kein ganz kleiner".

 

Hon.-Prof. Dr. Alfed Duschanek (Wirtschafskammer Österreich) referierte anschließend über "Die Wirtschaftsordnung Österreichs im Lichte der Grundrechtscharta". Kritik übte der Referent an der verfahrensmäßigen Behandlung der vom Konvent veranlassten Stellungnahmen (mehr als 10.000), die über das Internet eingeholt worden seien: Hier müsse dem Intervenienten wenigstens "eine faire Auseinandersetzung mit ihren Vorbringen begreiflich gemacht werden". Bei einer Abarbeitung im Fünf-Minuten-Takt könne sich im Übrigen gar kein ernstzunehmender Dialog ergeben. Duschanek begrüßte einerseits die Unverbindlichkeit der Charta "im Hinblick auf vielfältige rechtliche Mängel". Andererseits sei zu erwarten, dass sie Normsetzung und Judikatur der EU "maßgeblich beeinflussen" werde. Im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie in Art. 47 Abs. 1 GRC forderte er die Einführung einer "individuellen Grundrechtsbeschwerde" an EuGH oder EuG, damit auch die Charta selbst rechtsschutzbewehrt sei. Wenn man zwei Monate auf die Eingangsbestätigung warten müsse, sei das Beschwerdeverfahren vor der Europäischen Kommission jedenfalls nicht effektiv, meinte der Referent unter Hinweis auf Art. 41 GRC. Die inhaltliche Abstimmung von Charta und EU-Kompetenzen weise erhebliche Defizite auf. Insoweit widersprach Duschanek unter Bezugnahme auf Art. 12, 14 und 28 GRC ausdrücklich der "Placebo-These" Holoubeks. Die Charta bringe zwar eigentlich kaum neue Impulse, biete aber "Potential für rechtsdogmatische Übungen": "Der interessierten, aber rechtsunkundigen Bevölkerung" sei dieses Ergebnis "wohl kaum klar zu machen". Deshalb werde es wohl auch eher zu Frustrationen denn zu Identifikationen mit dem Europagedanken kommen. Die Möglichkeit einer gründlichen Überarbeitung werde notwendig sein.

 

Zu Beginn der Diskussion warf Schneider die Frage auf, ob die Charta überhaupt "im Sinne der Logik mitgliedstaatlicher Interessenvertretung" erarbeitet werden könne. Der Verfasser dieses Berichts wies auf die Rechtsprechung des BVerfG hin, das mittlerweile den gesamten arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz auf die grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 12 GG stütze, weshalb der Kündigungsschutz eigentlich gar kein "solidarisches Recht" sei, sondern auf Art. 15 GRC hätte gestützt werden können, so dass es nicht der ausdrücklichen Erwähnung in Art. 30 GRC bedurft hätte. Die mangelnde Trennbarkeit der Rechte nach ihrem so genannten Status komme etwa auch im Mutterschutz in Art. 33 Abs. 2 GRC zum Ausdruck, der als präventiver Lebensschutz, nämlich des ungeborenen Lebens, verstanden werden könne. Funk stimmte dem zu und führte dies auf die mangelnde "theoretische Vergewisserung" im Konvent zurück, die sich jetzt nicht nachholen lasse. Der Charta liege eben keine Grundrechtstheorie zugrunde. Es stelle ein Versäumnis der Juristen dar, dass die Theorie der "sozialen" Recht nicht statt finde. Die Justiziabilität derselben werde bestritten, was aber gar nicht stimme.

 

4.         Praktische Implikationen der Grundrechtscharta: Die EU als Menschenrechtsorganisation (im Werden) und gesellschaftspolitische Akzente (konservativ oder sozialgestaltend)?

 

Unter der Leitung von Dr. Wolf Okresek (österreichisches Bundeskanzleramt) stellte Prof. Dr. Armin von Bogdandy (Univ. Frankfurt a.M.) im dritten Panel die - von ihm eher rhetorisch gemeinte Frage - "Entwickelt sich die EU zu einer Menschenrechtsorganisation?".[12] Er wollte das Plenum "im Kern unserer Leidenschaft" verführen. Bislang befasse sich die juristische Elite mit den Grundrechten, denen bisher der "höchste Adel im juristischen Normenkomplex" beigemessen werde. "Ist die Charta nun Anlass, den Grundrechten einen ähnlichen Stellenwert zukommen zu lassen wie in den meisten nationalen Verfassungen?", fragte der Referent bei eigener Skepsis. Die "Zentralität der Grundrechte in der EU" sei an sich die "logische Konsequenz der bisherigen Entwicklung". Sollten die Grundrechte nunmehr zur "raison d'être der europäischen Integration" werden? Viele Kompetenzen könnten für eine solche Grundrechtspolitik genutzt werden: So sei Art. 13 EGV nach Nizza von der Einstimmigkeit in die Mehrheitsentscheidung überführt worden und könne sogar Gegenstand verstärkter Zusammenarbeit sein. Von Bogdandy unterschied drei Ebenen: Erstens die Entwicklung einer speziellen Menschenrechtspolitik durch die EU (Ebene der Rechtspolitik), zweitens eine höheres Schutzniveau und "grundrechtsdogmatische Sauberkeit" beim EuGH (Gerichtsbarkeit) sowie drittens die Rekonstruierung der gesamten Rechtsordnung der EU im Lichte der Grundrechte (Rechtswissenschaft). Für die erste Ebene stünden die Generaldirektion 5, Resolutionen des EP, aber auch Rechtswissenschaftler wie Philip Alston und Joseph Weiler.[13]Ebenso sei hier die Reaktion auf die FPÖ-Beteiligung an der österreichischen Regierung zu nennen. Gefordert werde eine Wiederholung der Bewegung aus dem Binnenmarkt im Bereich der Grundrechte. Die EU biete sich definitiv an, denn Menschenrechtspolitik sei eine Politik, die von Eliten betrieben werde. Wegen ihrer Distanz könne die EU die Politik machen, zu der die Mitgliedstaaten gar nicht mehr in der Lage seien. Gedacht werde auch an den Aufbau eigener Verwaltungseinheiten (eigener Kommissar, eigene GD, allgemeines Amt zur Beobachtung der Grundrechtssituation). Problematisch sei dabei aber der Subsidiaritätsgrundsatz und die mitgliedstaatliche Verfassungsautonomie. Insgesamt werde man wohl nicht um die Entwicklung einer Grundrechtspolitik in der EU umhin kommen. Dabei seien drei unterschiedliche Standards auf drei Ebenen im Wege einer Stufung zu setzen: Der erste Standard gelte für die Außenbeziehungen und beschränke sich wegen des Interventionsverbots auf rudimentäre Menschenrechtsanforderungen (Beispiel: Verbot arbiträrer Enteignungen). Der zweite Standard oder das zweite Niveau gelte für die Mitgliedstaaten insgesamt im Rahmen der vertraglichen Aufsichtsmechanismen (Beispiel: Schutz des Privateigentums, Existenz von Privateigentum; nicht aber: Atomausstieg). Der dritte und höchste Standard gelte schließlich für die EU selbst.

Im Hinblick auf die Ebene der Gerichtsbarkeit meinte von Bogdandy, dass man bisher mit Grundrechten vor dem EuGH kaum Erfolg habe. Überhaupt entscheide der Gerichtshof nur zehn bis zwölf substantielle Grundrechtsfälle im Jahr. Wolle man vor ihm Erfolg haben, müsse man immer eine Diskriminierung geltend machen - mit Freiheitsrechten habe man keine Chance. Außerdem sei es bei allgemeinen Rechtsgrundsätzen schwierig, "dogmatisch sauber" zu arbeiten. Für die dritte Ebene, die Rechtswissenschaft, stelle sich die Frage, ob wir statt des Gemeinsamen Marktes nun eine neue "Fluchtburg" für die europäische Rechtsordnung haben wollten, eben die Grundrechte. In Deutschland durchstrahlten die Grundrechte die gesamte Rechtsordnung und übten eine Funktion aus, die früher den großen Kodifikationen zugekommen sei. Das sei ein "gewaltiges Programm". In Europa sei es Teil der Finalitätsdebatte, die bisher fast allein institutionell geführt werden (Fischer, Chirac). "Wo wollen wir hingehen?", fragte von Bogdandy. Der Gemeinsame Markt sei insoweit inzwischen erschöpft. Wie die Beispiele Deutschland und USA zeigten, übten Grundrechte jedenfalls eine unitarisierende Wirkung aus.

 

Unter der Überschrift "Gesellschaftspolitische Akzente der europäischen Grundrechtscharta: Konservativ oder sozialgestaltend? Mit Betonung auf Österreich" nahm Univ.-Prof. Dr. Heinz Peter Rill (WU Wien) eine fundierte Würdigung der diesbezüglichen Gehalte der Charta vor. Wirtschaftspolitik lasse sich nicht von anderen Politiken abkoppeln. Die Zielsetzung des EuGH sei es bisher gewesen, die Gemeinschaft zu stärken, nicht sie zu bändigen. Amsterdam habe keinen Beitritt zur EMRK gebracht. Die ESC sei eine "Sammlung politischer Absichtserklärungen". Das Abkommen über die Sozialpolitik binde immerhin nun alle Mitgliedstaaten. Angesichts dieser dürftigen Bekenntnisse und des Auftrags des Europäischen Rats, der zumindest eine gewisse Reserve für soziale Rechte enthalten habe, sei das Ziel der Charta die Bestandssicherung gewesen, nicht der "Aufbruch zu neuen Ufern". Diese Kodifikationsaufgabe habe der Konvent "im Großen und Ganzen erfüllt". Auch wenn das "Recht auf Arbeit" nicht erfasst worden sei, enthalte die Charta immerhin doch einige - "wohlwollend betrachtet" - neue Rechte, etwa den Umwelt- und Verbraucherschutz (Art. 37 und 38 GRC), auch wenn in den Vorschriften nicht viel drin stehe. Kritik werde daran geübt, dass kein Beitritt zur EMRK oder zur ESC vorgesehen sei, welcher auch jetzt nicht zu erwarten stehe. "Allein mit diesen beiden Schritten hätte man rechtlich mehr erreichen können als mit der Charta", so Rills Einschätzung. Die Beitritte hätten die entsprechenden Rechte sichtbarer gemacht und den Beitrittskandidaten gezeigt, dass man es mit diesen Rechten ernst meine und auch für deren Schutz Vorkehrungen treffe. Die Grundrechtscharta decke nicht alle "Ansprüche und Anliegen" ab, die als fundamentale Rechte oder Anforderungen angesehen werden würden. Von revolutionären Verfassungsgebungen vielleicht abgesehen, setzten Grundrechte einen ausreichenden Konsens in der Bevölkerung voraus. So sei die Marktwirtschaft in Österreich bereits verwirklicht gewesen, als man 1867 liberale Grundrechte in die Dezemberverfassung übernommen habe. Ähnliches gelte für die ESC von 1961. Geduld sei geboten. Man müsse nunmehr nach einfachgesetzlichen Lösungen suchen. Fundamentalismus sei nicht gefragt. Schutzrechte in Bezug auf Medien oder Minderheitenschutz seien eben nicht alle ohne weiteres konsensfähig gewesen. Mit den Grundrechte stünde es jedenfalls nicht zum Besten. Grundrechtspolitik sei aber auch nicht nur auf der Ebene der Verfassung zu erfüllen, sondern auch auf der Rechtsetzungsebene.

 

In der Diskussion zeigte sich auch Ress skeptisch im Hinblick auf die Realisierung des Beitritts zu EMRK und ESC: EuGH und EuGHMR wiesen unterschiedliche Freiheitsverständnisse auf, wie die Entscheidungen ERT[14] und Lentia[15] zeigten. Dem widersprach der Verfasser dieses Berichts, jedenfalls in der Tendenz: Zum einen sei das Aufbrechen von Monopolen, um das es in den beiden genannten Verfahren ging, eigentlich schon die Sache des EuGH. Zum anderen zeigten die jüngsten Transsexuellenfälle,[16] dass der Luxemburger Gerichtshof mitunter weiter gehe als sein Straßburger "Pendant", auch wenn dies eher die von von Bogdandy für aussichtsreicher erklärten Diskriminierungsverbote betroffen habe. Auf die weitere Frage an eben diesen, wie man denn heute einer europäischen "Grundrechtspolitik" und einer Durchdringung der gesamten europäischen Rechtsordnung durch die Grundrechte kritisch gegenüber stehen könne, wenn dies der eigenen Tradition entspreche und wenn eine Vielzahl von Regulierungen nunmehr in Brüssel statt finde, eine rein nationale Grundrechtspolitik also notwendigerweise leer laufen müsse, meinte von Bogdandy, dass es sehr wohl noch Raum für eine nationale Grundrechtspolitik gebe, etwa bei der Familienförderung durch Steuern und bei der Emanzipation von Homosexuellen. Im Übrigen konstatierte von Bogdandy eine Zurückhaltung in der Rechtsprechung des EuGH, die Grundfreiheiten zu Grundrechten zu machen. Hier bestehe nämlich das Problem, die Wirtschaftspolitik auf der Grundlage von Verfassungsrecht zu betonieren. Der Unterschied zwischen Grundfreiheiten und Grundrechten sei - mit Ausnahme der Freizügigkeit - gerade nicht aufgegeben worden.

 

5.         Grundrechte und Erweiterung

 

Das vierte Panel der Konferenz unter Vorsitz von Univ.-Prof. Dr. Hubert Isak (Univ. Graz) leitete Dr. Franz Cermak von der Europäischen Kommission (GD Erweiterung) mit einem Referat über "Die europäische Grundrechtscharta und die Erweiterung der Union" ein. Nach einem kurzen Überblick über den Stand des Erweiterungsprozesses hielt der Referent im Grundsatz daran fest, dass die Charta keine zusätzlichen Bedingungen für einen Beitritt aufstelle. Sie bringe insoweit allenfalls zusätzliche Rechtssicherheit für die Beitrittskandidaten, die ja ohnehin alle die EMRK ratifiziert hätten, und für ihre Bürger. Das "politische Beitrittskriterium" des Europäischen Rates von Kopenhagen (1993)[17] werde nach den seit 1997 von der Europäischen Kommission vorgenommenen Bewertungen von fast allen Kandidaten entweder erfüllt oder diese seien auf dem richtigen Weg. Auch in der Slowakei habe sich die Lage wesentlich verbessert. Allein die Türkei bereite noch Probleme, insbesondere beim Minderheitenschutz. Ganz allgemein stehe die Kommission auf dem Standpunkt, dass alle Länder Reform und Ausbau ihres Justizwesen schneller vorantreiben müssten. Darüber hinaus stelle die Korruption ein gegenwärtig ungelöstes Problem dar. Schließlich seien die Roma und Sinti noch immer umfangreichen Diskriminierungen ausgesetzt, was aber nicht auf die Kandidatenländer beschränkt sei und bei Frauen zu einer "Doppeldiskriminierung" führe. Im Hinblick auf die Übernahme internationaler Menschenrechtstexte bestehe noch Nachholbedarf in Sachen ESC und Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten.

 

Die Staatssektretärin im Ministerium für Arbeit und Soziales der Republik Polen, Dr. Elžbieta Sobotka, stellte unter der Überschrift "Polen als konkretes Beispiel" die Menschenrechtslage in ihrem Land dar, indem sie den vorhandenen internationalen Normenbestand und die Artikel der Charta mit jenen Bestimmungen verglich, die in der Republik Polen Anwendung finden. Dabei ging sie insbesondere auf die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation ein, deren Gründungsmitglied Polen gewesen sei. Die Referentin stellte eine weitgehende Übereinstimmung fest und beleuchtete dabei auch die lange polnische Verfassungstradition (erste europäische Verfassung vom 03.05.1791, zugleich die weltweit zweite), die frühen Forderungen von Solidarnosc sowie den Transformationsprozess nach 1989.

 

Dr. Jenö Czuczai (Univ. Budapest) beschloss das vierte Panel mit einem Referat über die "Challenges Stemming from the Charter of Fundamental Rights for the Economic Transformation Process in the Candidate Countries of Central and Eastern Europe". Zunächst stellte er den Konstitutionalisierungsprozess in diesen Staaten seit dem Mauerfall sowie den Abschluss der Europaabkommen dar. Das von Cermak angesprochene "politische Kriterium" für einen Beitritt hielt er für sehr vage angesichts des sich ständig fortentwickelnden acquis. Die Charta stelle jetzt aber - neben den von der Kommission bereits herangezogenen internationalen Menschenrechtstexten - ein weiteres Hilfsmittel zur Bestimmung dessen dar, was das Wesen dieses acquis ausmache. Sodann widmete sich Czuczai im Lichte der Charta dem "sozialen Defizit" des Transformationsprozesses mit seinen Gewinnern und Verlierern, insbesondere vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des ungarischen Verfassungsgerichts, das im Bereich der sozialen Sicherheit eine Art Finanzierungsvorbehalt postuliert habe. Zwar bestehe ein den bisherigen Mitgliedstaaten der EU vergleichbares prozentuales Verhältnis zwischen Sozialleistungen und Einkommen. Doch sei der wirkliche Wert der Sozialleistungen wegen des niedrigeren Lohnniveaus viel geringer. Hier könnten Änderungen der Verfassungen mancher Beitrittskandidaten erforderlich werden, um der Charta zu genügen. Da die Charta - anders als die Kopenhagener Kriterien und trotz des auch von Neisser hervorgehobenen Vorschlags der Beitrittskandidaten - keine wirkliche Bestimmung zum Minderheitenschutz enthalte, müsse sie, so der Referent abschließend, womöglich überarbeitet werden, bevor man sie in die Verträge inkorporieren könne.

 

In der Diskussion merkte Griller im Hinblick auf die Grundrechte als Beitrittskriterium u.a. "bösartig" an, dass nach dem Vorbild der Charta eigentlich eine unverbindliche Erklärung ausreichen müsste. Das Kopenhagen-Kriterium sei jedenfalls so zu verstehen, dass die Rechte nicht unbedingt verfassungsgesetzlich gewährleistet sein müssten. Cermak gab zu bedenken, dass man den baltischen Staaten nicht die Schuld daran geben könne, wenn so wenige Russen die Staatsbürgerschaft beantragten: Manche wollten das nämlich gar nicht. Czuzcai beendete die Diskussion mit folgender Würdigung des Vertrages von Nizza: "Nice treaty is nice treaty, although it could have been a nicer one".

 

6.         Grundrechte und Rechtsprechung: Anwendungsbereich und Verhältnis der Höchstgerichte

 

Das fünfte Panel leitete der ehemalige österreichische Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, Univ.-Prof. Dr. Franz Matscher (Univ. Salzburg), mit der Bemerkung ein, dass die Grundrechte nur so viel wert seien, wie sie im Bedarfsfall in einem geordneten Verfahren auch zur Durchsetzung gebracht werden könnten. Die Charta sei zwar nicht wertlos, aber auch kein großer Wurf, keine "magna charta europaeae". Das dieser skeptischen Einleitung folgende Referat hielt Univ.-Prof. Dr. Stefan Griller (WU Wien) zum Thema "Der Anwendungsbereich der Rechte aus der Grundrechtscharta und das Verhältnis zu sonstigen Gemeinschaftsrechten, Rechten aus der EMRK und zu verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten". Griller ging dabei von der Prämisse aus, dass die Charta durch ihre feierliche Proklamation in Nizza bereits heute insofern rechtlich relevant sei, als sie als Ausdruck der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten i.S.v. Art. 6 Abs. 2 EUV verstanden werden könne. Die Erwähnung des Subsidiaritätsprinzips in Art. 51 Abs. 1 GRC erstaune. Wahrscheinlich sei dieses aus Abs. 2 "verrutscht". Die anderen Lesarten (Bindung auch der Mitgliedstaaten an das Subsidiaritätsprinzip oder Geltung der Charta für Organe und Einrichtungen "der Union" nur dann, wenn der Grundrechtsschutz nicht besser durch die Mitgliedstaaten bewerkstelligt werden könne) könnten jedenfalls nicht überzeugen. Nach bisheriger Lesart könne die Union mangels Rechtspersönlichkeit zudem gar keine Organe haben. Man müsse wohl annehmen, dass die Organe der Gemeinschaften über die Bindung der Union angesprochen werden würden. Die in Art. 51 Abs. 1 GRC festgelegte Grenze des Anwendungsbereichs - "Durchführung des Rechts der Union" - sei angesichts der jüngeren Judikatur des EuGH ungenau und problematisch. Rechtspolitisch und vor dem Hintergrund der Art. 7 und 49 EUV sei im Übrigen zu fragen, ob sie nicht sogar anachronistisch sei. Nach der EuGH-Rechtsprechung seien die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts oder bei seiner Beschränkung auch an die Gemeinschaftsgrundrechte gebunden. Und nach der Entscheidung im Fall Bickel,[18] die einen an das "civis europeus sum" des Generalanwalts im Fall Konstantinidis[19] erinnere, bleibe kaum noch ein Fall übrig, der nicht vom Gemeinschaftsrecht erfasst sei. Nur die "rein hypothetische Aussicht auf Ausübung der Freizügigkeit" reiche nicht, meinte Griller unter Hinweis auf den Fall Kremzow.[20] Griller verteidigte diese Rechtsprechung nicht und meinte, es ließen sich gute Gründe dagegen finden. Aber die Charta knüpfe nun einmal an sie an. Deshalb bedürfe es wirklich "spitzfindiger Auslegung", um einen Bereich zu finden, der der Gemeinschaft entzogen sei. Nach Art. 52 Abs. 2 GRC solle sich an den bisherigen Rechten aus den Gemeinschaftsverträgen und dem Unionsvertrag insofern nichts ändern, als deren Ausübung "im Rahmen der darin festgelegten Bedingungen und Grenzen" erfolge. Dieser Grundsatz komme auch in der Präambel und den Art. 16, 42 und 45 GRC zum Ausdruck. Allerdings könne sich eine "Akzentverschiebung" durch die künftig gebotenen Abwägungen mit gegenläufigen Rechten aus der Charta ergeben. Art. 53 GRC lege u.a. den Schutzstandard der EMRK als "Mindeststandard" fest. Soweit dort auch auf die Verfassungen der Mitgliedstaaten als "Mindeststandard" abgestellt werde, könne dies - neben dem "bemerkenswerten Sündenfall" des Art. 68 Abs. 2 EGV - als weiterer Schritt zur "Renationalisierung" des Grundrechtsschutzes und als "Materialisierung mitgliedstaatlicher Vorbehalte gegen den schrankenlosen Vorrang des Gemeinschaftsrechts" gedeutet werden. Solange I und II sowie die Bananenentscheidung[21] seien in brisanter Weise wieder aktualisiert. Sollte sich diese Lesart durchsetzen, sei ein wesentliches Element der Vorrangjudikatur des EuGH gefährdet. Man könne zwar zum schrankenlosen Vorrang stehen, wie man wolle. Aber diesen zurückzunehmen, ohne darüber ausreichend oder überhaupt zu reden, sei nicht richtig. Hier habe der Nationalstaat gezeigt, dass sein "Griff noch ziemlich fest" sei.

 

Unter der Überschrift "Grundrechtsschutz, ein Mehrebenenprogramm?" widmete sich zunächst der Kammerpräsident am Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, Dr. Josef Azizi, dem "Verhältnis zwischen EuGH, EGMR und nationalen Höchstgerichten, insbesondere dem österreichischen VfGH - primär aus der Perspektive des EuGH". Azizi strich dabei die Grundrechtsgehalte des geltenden Gemeinschaftsrechts heraus und zeichnete die Grundrechtsjudikatur des Gerichtshofs nach. Die EMRK gelte im Gemeinschaftsrecht zwar nicht als solche, stelle aber bei der Ermittlung allgemeiner Rechtsgrundsätze den entscheidenden Gesichtspunkt dar. Diese Rechtsgrundsätze würden nach Maßgabe der Judikatur des EuGHMR ausgelegt. Lücken im gemeinschaftlichem Grundrechtsschutzsystem konstatierte er im Bereich der generellen Rechtsakte. Unabhängig von ihrer ausdrücklichen Einbeziehung in das gemeinschaftliche Normengefüge werde die Charta der Orientierungs- und Bezugspunkt künftiger Rechtsprechung bei der Feststellung allgemeiner Rechtsgrundsätze sein. Ihr Anwendungsbereich werde durch den Anwendungsbereich des gesamten Gemeinschaftsrechts bestimmt. Und dies gelte nach der Entscheidung Angonese[22] auch im Verhältnis Privater. Der österreichische Verfassungsgerichtshof habe im Hinblick auf die erstmalige Vorlage an den EuGH[23] eine "Vorreiterrolle" unter allen europäischen Verfassungsgerichten im Vorabentscheidungsverfahren eingenommen. Insgesamt empfahl Azizi eine wechselseitige Bedachtnahmepflicht entsprechend dem Modell des EWR-Abkommens, eine Auseinandersetzungspflicht mit der anderen Judikatur ohne eine Bindung in der Sache. Der EuGH sei jedenfalls dankbar für jede Art von Zusammenarbeit mit anderen Gerichtshöfen.

 

"Das Verhältnis zwischen EGMR, EuGH und nationalen Höchstgerichten, insbesondere dem deutschen BVerfG - primär aus der Perspektive des EGMR" erfuhr eine aktuelle und tiefgehende Analyse im Vortrag des Richters am EuGHMR, Prof. Dr. Georg Ress. Das Verhältnis zwischen BVerfG und EuGH sei von Anfang an ein kritisches gewesen. Der acquis communautaire könne im Wege der nachfolgenden Auslegung des völkerrechtlichen Gründungsvertrages auch das Wechselspiel zwischen postuliertem Vorrang und Skepsis in den Mitgliedstaaten aufgenommen haben. Die Vertragsstaaten der EMRK unterlägen einer Achtungs- und Ergebnispflicht aus Art. 1 EMRK. Eine unmittelbare Anwendung und einen Vorrang gäbe es aber grundsätzlich nicht. Die Vertragsstaaten müssten jede eingetretene Verletzung beseitigen und künftigen Verletzungen vorbeugen sowie ggf. Schadenersatz leisten. Dem EuGHMR komme indes - anders als den mitgliedstaatlichen Verfassungsgerichten und dem EuGH - keine Durchgriffsbefugnis zu. Der Gerichtshof habe nie einen Vorrang erwogen, auch nicht mit den Worten vom ordre public oder der autonomen Ordnung. Der "Popanz der Autonomie des Gemeinschaftsrechts" sei nicht anderes als die Eigenständigkeit nationaler Rechtsordnungen auch. Der EuGHMR kontrolliere nicht das nationale Recht. Er prüfe seine richtige Anwendung nur dann genau, wenn die EMRK darauf verweise. Mitunter schließe er sich auch dem EuGH an, bemerkte Ress unter Verweis auf das Pellegrin-Urteil,[24] das auch in anderen Fällen Schule machen könne. Art. 6 EMRK sei im Übrigen auch auf nationale Verfassungsgerichte anwendbar und habe erhebliche Auswirkungen auf deren Arbeit. Im Verhältnis der EMRK zur EU meinte Ress, dass, wäre die EU schon ein Bundesstaat, eine Bindung über das Recht der Staatennachfolge unproblematisch anzunehmen wäre, ohne dass es eines besonderen Rechtsaktes bedürfe. Der EuGH unterläge dann, nicht anders als die anderen Obergerichte auch, einer Kontrolle durch den EuGHMR. Vor diesem Hintergrund warf der Referent die Frage auf, ob dies für den Zwischenzustand oder den Zustand auf dem Weg dahin wirklich anders sein solle, wenn das Endziel relativ eindeutig sei. Bisher habe der EuGHMR aber die direkte Überprüfung der Rechtsakte von internationalen Organisationen ausgeschlossen. Aber darüber könnte man noch einmal nachdenken, wenn man an die Rechtsprechung des EuGH zur Funktionsnachfolge im GATT denke. Wenn die EU wie im Fall Matthews[25] keine Vertragspartei bei bestimmten Akten sei, seien ohnehin alle beteiligten Mitgliedstaaten verantwortlich. Der EuGHMR scheine von der - verfehlten - Rechtsprechung der früheren KomMR[26] abzuweichen, nach der eine Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten bei einem gleichwertigen Schutz nicht in Betracht komme. Der Unterschied zwischen dem Matthews- und dem Melchers-Fall liege darin, dass es in diesem um die innerstaatliche Vollstreckung eines Bußgeldbescheids gegangen sei, während in jenem der EuGH gar keine Kontrollkompetenz gehabt habe. Die Herkunft des nationalen Akts (Richtlinienumsetzung, Vollstreckung) sei irrelevant. So habe Frankreich im Cantoni-Fall[27] den Richtlinientext fast völlig wiederholt. Fraglich sei, ob der Mitgliedstaat gemeinschaftsrechtswidrig handeln könne, wenn er seinen Verpflichtungen aus der EMRK nachkomme. Im Matthews-Fall habe sicher ein wichtiger Grund zur Kündigung des Vertrages bestanden. Im Übrigen prüfe der EuGHMR auch die richtige Anwendung der Vorlagepflicht unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 EMRK. Inzwischen bestehe eine feste Rechtsprechung, regelmäßig durch die Komitees, bei den die Veröffentlichungspraxis aber dürftig sei.[28] In den beiden ESA-Fällen Waite und Kennedy[29] sowie Bear und Regan[30] gegen Deutschland habe der Gerichtshof auf das Vorhandensein vernünftiger Rechtsschutzmöglichkeiten abgestellt. Im neuesten Fall DSR Senator Lines vor der 3. Kammer[31] hätten der Präsident von EuG und EuGH den Antrag auf Aufhebung der Vollstreckung abgewiesen. Nun stelle aber die Vollstreckung immer eine Strafe i.S.v. Art. 6 EMRK dar, die nur dann möglich sei, wenn vorher Rechtsschutz gewährt worden sei. Man könne nicht erst vollstrecken und dann kontrollieren, so Ress. Die Beschwerde sei allen 15 EU-Mitgliedstaaten zugestellt worden. Eine vergleichbare Konstellation betreffe eine Beschwerde gegen alle NATO-Staaten wegen der Bombardierung serbischer Sendeanlagen, bei der Angehörige der Beschwerdeführer getötet bzw. diese selbst verletzt worden seien. Im Ergebnis entgehe die EU auch ohne formellen Beitritt nicht der mittelbaren Kontrolle durch den EuGHMR. Die Vertragsstaaten könnten sich dem nicht entziehen. Vielleicht stehe dahinter die allgemeine Befürchtung, dass die Vertragsstaaten sich sonst allein durch Bildung einer internationalen Organisation der Kontrolle entziehen könnten. Würde man auf die Linie von Solange II einschwenken, so würde dies die Inkaufnahme einer Senkung des Prüfungsniveaus im Einzelfall bedeuten. Diese Frage sei gegenwärtig noch unentschieden. Es gebe keine Äußerungen dazu. Im - unveröffentlichten - Komitee-Fall Lenz sei der Gerichtshof in die Sache eingestiegen. Er habe keine Kontrolle von Akten der Gemeinschaft als solcher vorgenommen. Aber die Vertragsstaaten würden auch nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Kontrolliert worden seien Bestand und Anwendung von prozessualen Garantien. Probleme bestünden im Hinblick auf die Zulassung von Verfahren vor dem EuGH und die Möglichkeit einer Erwiderung auf die Schlussanträge des Generalanwalts.[32] In seiner Schlussbemerkung wies Ress darauf hin, dass die Charta den EuGHMR "authentischen Interpreten" anerkenne. Dass daneben auch der EuGH vorkomme, sei so "in Ordnung". Es habe bereits eine "leichte Divergenz" u.a. in den Fällen Hoechst[33] einerseits und Niemietz[34] gegeben. Im Fall Grant[35] habe Judikatur der KomMR existiert.[36] Mit einem "Kooperationsmodell" werde man aber in der Zukunft keine größeren Probleme haben, so Ress. Das heiße aber nicht, dass Konfliktfälle wie Senator Lines völlig ausgeschlossen seien.[37] Doch damit müsse man eben leben. Zwar wäre ein Vorlageverfahren denkbar. Doch gerade der Fall Senator Lines zeige, dass die Vorlagefrage wahrscheinlich gar nicht einmal erkannt worden, geschweige denn, dass es tatsächlich zur Vorlage gekommen wäre.

 

7.         Grundrechte und Bürgerrechte: Unionsbürgerschaft und österreichische Bundesverfassung

 

Unter Vorsitz von Dr. Günther Graf (Wirtschaftskammer Österreich) eröffnete Univ.-Prof. Dr. Reinhard Rack, MdEP (Univ. Graz), das sechste und letzte Panel mit einem Referat über "Unionsbürgerschaft und Grundrechtscharta". Der Referent zeichnete die Entwicklung der besonderen "politischen" Rechte der Unionsbürger nach, die dem primären Gemeinschaftsrecht zunächst - zumindest dem Namen nach - fremd gewesen seien. Wirkliche Unionsbürgerrechte habe erst der Maastrichter Unionsvertrag mit den Art. 8 ff. EGV gebracht, welche dann im Amsterdamer fortgeschrieben und dabei leicht erweitert worden seien. Die Grundrechtscharta enthalte die einschlägigen Bürgerrechte jetzt in ihrem fünften Kapitel (Art. 39-46 GRC), ohne damit wirklich Neues geschaffen zu haben. Man habe größtenteils nur "kompiliert". Herausgefallen sei das Recht, politische Parteien zu gründen. Dieses befinde sich nach Nizza nunmehr im EGV selbst (Art. 191) Die gefundene Einteilung sei "nicht ganz schlüssig" bzw. stelle "kein sauberes System" dar, meinte Rack unter Hinweis auf die unterschiedliche Verortung der Personenfreizügigkeit (Art. 45 GRC) bei den "Bürgerrechten", der sonstigen wirtschaftlichen Grundrechte bei den "Freiheiten" (Art. 15 ff.) und des Streikrechts bei der "Solidarität" (Art. 28 GRC). Auch fänden sich vage bzw. weiche Formulierungen, v.a. im Bereich des Rechts auf gute Verwaltung (Art. 41 GRC). Natürlich werde es weitere "Verrechtlichungsschritte" geben müssen, damit aus dem Ganzen wirklich "Substanz" werde. Nicht auszuschließen bzw. zu hoffen sei, dass der EuGH und die übrigen Institutionen die Sache "ab sofort ... ernst nehmen". Historische Grundrechte seien das Produkt eines politischen Willensbildungsprozesses gewesen. So, wie sie heute gälten, seien sie erst im Laufe der Zeit durch die Anwendung in der Rechtsprechung geworden, merkte der Referent wie vor ihm schon Hilf und Holoubek an. Anders als Holoubek schätzte Rack aber die Zusammensetzung des Konvents und deren Folgen ein: Viele Verfassungsprofessoren und Richter, die sonst nicht in dieser Zahl in einem politischen Gremium sässen, hätten viel zu viel auf der Sache bestanden oder zumindest geglaubt, etwas von der Sache zu verstehen. Das sei gerade das Problem gewesen. Mittelfristig nütze das Projekt der europäischen Einigung, schade ihr jedenfalls aber nicht.

 

Der die gesamte Konferenz abschließende Vortrag zum Thema "Europäische Grundrechtscharta und Bundesverfassung" wurde von Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger (Univ. Wien) gehalten. Einleitend beschäftigte er sich mit der Frage des Fehlens eines gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtskatalogs aus verfassungsrechtlicher Sicht, wobei er vor allem auf die ältere (Solange-) Rechtsprechung des BVerfG[38] zu sprechen kam. Nach wie vor beanspruche dieses Gericht eine Art Reservekompetenz, wenn auch nur eine generelle Sicherstellung des Grundrechtsschutzes verlangt werde. Und nach wie vor sei das Fehlen eines kodifizierten Grundrechtskatalogs ein "Manko". Jetzt herrsche auch Skepsis in Bezug auf die Charta bei den Verfassungsrichtern vor. Ungeklärt sei nämlich deren Verhältnis zu den nationalen Verfassungen. Aus Anlass einer zuvor schon von Duschanek angesprochenen Kontroverse um die gesetzliche Veröffentlichungspflicht der Gehälter von (Spitzen-) Beamten in Österreich[39] ging er sodann auf das Recht auf Datenschutz (Art. 8 GRC) und seinen möglichen Anwendungsbereich ein. Daran erläuterte er beispielhaft die möglichen Veränderungen, die sich durch eine gesatzte Grundrechtscharta im Hinblick auf das Rangverhältnis zwischen Gemeinschafts- und nationalem Verfasungsrecht und zwischen österreichischem Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof ergäben. Das Gemeinschaftsrecht könne einer solchen Veröffentlichung entgegen stehen. Der Wortlaut der Grundrechtsnorm sei notwendigerweise offen. Sie bedürfe stets der rechtlichen Konkretisierung, die "nicht immer mit Sicherheit voraussehbar" sei. Aber es mache schon einen Unterschied, ob man einen gesatzten Katalog habe oder einen luftleeren Raum. Nur ein Grundrechtskatalog könne den EuGH zwingen, "dogmatisch elaborierter" zu arbeiten. Über die Frage des Anwendungsbereichs könne - bei Verbindlichkeit des Katalogs - nur der EuGH entscheiden, meinte Öhlinger unter Hinweis auf Art. 51 GRC.  Die Frage, was sich im Verhältnis zu den nationalen Verfassungen bei einer schriftlichen Fixierung ändere, sei (nur) auf den ersten Blick mit "wenig" oder sogar "gar nichts" zu beantworten. Doch bei genauerer Betrachtung zeige sich, dass das BVerfG seinen Vorbehalt nicht mehr werde aufrecht erhalten können, denn ein "Rückfall" sei dann wohl nicht mehr gut "argumentierbar". Vorbehalte gegen den Vorrang würden sich noch weniger vertreten lassen. Das werde nun aber durch die "kryptische Bestimmung" des Art. 53 GRC wieder in Frage gestellt, meinte Öhlinger unter Verweis auf Griller. Eine verbindliche Charta werde die Rechtsprechung des EuGH "stimulieren", die bisher eher "dünn" sei, und den Grundrechtsschutz auf Gemeinschaftsebene "effektuieren". Aber auch die innerstaatlichen Gerichte würden "stimuliert" werden. Sie würden Gemeinschaftsgrundrechte in ihre Entscheidungen einbeziehen. Alle staatlichen Gerichte würden "Grundrechtsgerichte" sein, was sie aber in Wahrheit auch schon heute in einem doppelten Sinne seien: Erstens hätten Gerichte Grundrechte zu beachten, was sich inzwischen auch bei den ordentlichen Gerichten durchgesetzt habe, so der Referent unter Hinweis auf die Bindung der Publizistikförderung an den Gleichheitssatz. Zweitens würden schon heute Gemeinschaftsgrundrechte beachtet werden. Die selbständige Beurteilung der Grundrechtskonformität habe in der Praxis bisher allerdings noch keine große Rolle gespielt. Das ändere sich nun durch die Verankerung und Sichtbarmachung der Gemeinschaftsgrundrechte in einer Charta. Abschließend ging Öhlinger detailliert auf die erforderliche Abgrenzung der Zuständigkeiten von VfGH und VwGH ein. Jedes staatliche Organ müsse in seinem Wirkungsbereich das einschlägige Gemeinschaftsrecht anwenden und etwaige Konflikte im Sinne des Vorrangs lösen. Das normale Kontrollmonopol des VfGH werde so aufgebrochen. Es bestünde sogar eine Pflicht selbst der Verwaltung zur Nichtanwendung nationalen Rechts im Konfliktsfall. Den Gedanken, dass nunmehr eine Grundrechtsreform in Österreich anstehen könne, nachdem man dreißig Jahre vergeblich auf einschlägige Erfolge gewartet habe, verwarf Öhlinger sofort selbst wieder: Dafür fehle wohl der politische Wille, und dafür weise die Charta auch zu viele "legistische Mängel" auf. Die "seltsame Zuständigkeitsverteilung" zwischen VfGH und VwGH entspreche jedenfalls nicht der Logik der Grundrechte. Ein zeitlicher Vorrang des VfGH sei nicht praktikabel, da der Gerichtshof selbst nicht ständig entscheiden könne, sondern vorlegen müsse. Er finde es zwar schön, dass der VfGH nicht so viele Prestigeprobleme wie andere Verfassungsgerichte habe. Aber eine regelmäßig Vorlage sei wohl "nicht tunlich". Der VfGH sollte seinen Ruf an den Verfassungsgesetzgeber deshalb auch noch einmal überlegen, ihn zum "vorrangigen Grundrechtsgericht" zu machen. Dann müsste er nämlich täglich vorlegen.[40]

Im Hinblick auf die durch die Charta ausgelöste Konstitutionalisierungsdebatte meinte Öhlinger, dass das Dokument einen "Schritt zu einer Verfassung der EU" bedeute. Vorrang und Autonomie setzten schon begrifflich eine Verfassung voraus. Das bisherige Zusammenspiel von gesatztem Recht (Verträge) und allgemeinen Rechtsgrundsätzen sei in mehrfacher Hinsicht defizitär. Die Grundrechtscharta als Teil des EU- oder EG-Primärrechts würde einen positiven Schritt darstellen und eine weitere Konstitutionalisierung ermöglichen. Zugleich bedeute dies einen Schritt hin zu mehr Staatlichkeit der EU/EG, zwar nicht ganz im strengen Wortsinn, aber doch dem Staat ein Stück näher gekommen. Der Grundrechtsschutz als Aufgabe der EU/EG nehme EU/EG endgültig aus dem Zweckverband funktionaler Integration heraus. Diese Fragen sollten sich wenn schon nicht klären so doch in ihrer Brisanz erkennen und abschwächen lassen, bevor die Charta rechtsverbindlich werde.

 

In der abschließenden Podiumsdiskussion meinte Ress, dass es wenig Raum für einen Nichtanwendungsbereich der Charta gebe. Wir bräuchten gar kein 14. Amendment als Homogenitätsklausel wie in den USA, die dort die Maßgeblichkeit des Bundesrechts sichere. Griller stimmte dem in der Tendenz zu: Wir hätten uns der amerikanischen Situation schon sehr angenähert. Dem Anwendungsbereich sei nur der Fall entzogen, in dem ein Herr Kremzow bereits einsitze und sich über eine während des Einsitzens ergangene Maßnahme beschwere. Diese sei nach wie vor zu weit weg von einer Inanspruchnahme der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte. Hingegen könne die Veröffentlichungspflicht von Bezügen (Duschanek, Öhlinger) schon jemanden davon abhalten, etwa aus Deutschland nach Österreich zu gehen. Auf die Frage an Azizi, ob man sich vor zu vielen Klagen fürchte, meinte dieser, dass viele Klagen nicht per se schlecht seien, es sei denn, es lägen ständig Rechtsverletzungen seitens der Organe vor, die zu Klagen zwängen. Probleme bereiteten die Fälle, in denen gleichzeitig funktional gemeinschaftliches und funktional mitgliedstaatliches Handeln vorläge, etwa wenn der Mitgliedstaat zum einen im Auftrag der Kommission tätig werde und zum anderen auch eine eigene Entscheidung treffe, was z.B. beim Europäischen Sozialfonds der Fall sei. Hier müsse der Mitgliedstaat bestätigen, dass es sich um eine förderungsfähiges Vorhaben handele und 50 Prozent der Kosten selbst tragen. Beim Antrag an die nationale Behörde finde eine Mutation des Organs statt. Das Problem sei, dass erst am Ende abgerechnet werde und eine genaue Prüfung statt finde. Dann stelle sich die Rechtsmittelfrage im Falle einer Mittelkürzung von beiden Seiten.

 

8.         Fazit und Ausblick: Von der Not[-]wendigkeit einer europäischen Grundrechtspolitik

 

Konferenzen wie diese sind richtig und wichtig und kommen (noch oder gerade) zur richtigen Zeit, nicht nur wegen der Möglichkeit vorweihnachtlichen Innehaltens und Nachdenkens (Leitl). In einer mittlerweile hochspezialisierten europäischen Rechtslandschaft darf man die Grundlagen des Rechts überhaupt, eben die Grund[-]rechte, nicht außer Acht lassen. Ihre Aufgabe ist es, dem Gemeinwesen, sei es nun ein staatliches oder ein supranationales bzw. (prä-) föderales, eine Basis zu geben, ihm eine Richtung vorzugeben und die Rechtsetzung und tägliche Rechtsanwendung zu leiten. Deshalb darf sich die europäische Rechtswissenschaft nicht nur mit Einzelproblemen eher technischer Art befassen. Sie kann es im Übrigen auch gar nicht, weil selbst bei diesen Einzelproblemen immer wieder Fragen rechtsgrundsätzlicher Natur auftauchen.[41] Und diese Fragen müssen aus Gründen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts und angesichts dessen extrem weiten Anwendungsbereichs (Griller, Azizi)[42] auf Gemeinschaftsebene gelöst und beantwortet werden. Von daher ist eine europäische Grundrechtspolitik - entgegen von Bogdandy - doch dringend not-wendig.[43] Ihre zukünftige Gestalt wird ganz entscheidend von der Grundrechtscharta geprägt werden. Ob vor deren förmlicher Übernahme in das Gemeinschaftsrecht, sei es als Hinweis in den Verträgen, sei es als Teil eines neuen Verfassungsvertrages, realistischerweise noch Änderungen im Detail erfolgen können oder überhaupt sollen (Neisser gegen Hilf), mag dahin stehen. Denn auch ohne solche Änderungen wird die Charta mit Sicherheit durch den EuGH mit Leben und Sinn erfüllt werden (Ferrero-Waldner, Hilf, Holoubek, Duschanek, Griller, Azizi), was eine Überarbeitung entbehrlich oder nur aus Gründen der Rechtssicherheit und der Transparenz angezeigt sein lassen wird. Gerade die Vorbehaltsregelung des Art. 52 GRC erweist sich mit ihrem allgemeinen Gesetzesvorbehalt und ihrer Verweisung auf den jeweiligen EMRK-Standard (Holoubek[44]) insoweit alles andere als transparent. Und was heißt eigentlich "weitergehender Schutz" (Art. 52 Abs. 2 S. 2 GRC) in so genannten Grundrechtskollisionslagen?[45] Kann man überhaupt noch von einem bloßen "Mindeststandard" sprechen, der u.a. aus der EMRK folgt? Wird der diplomatische und konsularische Schutz nach Art. 46 GRC in Zukunft tatsächlich nur noch natürlichen und nicht mehr juristischen Personen zu Teil, was jedenfalls im Hinblick auf die deutsche Textfassung ein Rückschritt wäre?[46] Anregungen für eine weitere wissenschaftliche Aufarbeitung der Gemeinschaftsgrundrechte nach Nizza haben sich in der Konferenz jedenfalls in Fülle ergeben. Das Thema bleibt also auf der europäischen Agenda, und zwar nicht nur wegen der Frage der künftigen förmlichen Rechtsverbindlichkeit der Charta als Bestandteil des so genannten Nizza-"left-over". Spätestens dann sollte man aber auch über die Einführung einer Grundrechtsbeschwerde (Duschanek) nachdenken, die den notwendigen Rechtsschutz gegen Gemeinschaftsnormen sicher stellt, wenn und soweit der Schutz nicht über die nationalen Gerichte als funktionale Gemeinschaftsgerichte im Wege der Vorlage an den EuGH zeitnah bewerkstelligt werden kann, was jedenfalls beim Fehlen von Vollzugsakten oder bei nicht wiedergutzumachenden Eingriffen nicht der Fall ist.[47] Und ein "Beitritt" zur EMRK (Ferrero-Waldner, Neisser) würde die bisher insoweit bestehende Schieflage beseitigen, dass nationale Höchstgerichte sich in Straßburg grundrechtliche Korrekturen gefallen lassen müssen, der Luxemburger Gerichtshof aber allenfalls sehr indirekt. Das gilt unabhängig davon, ob der EuGH tatsächlich wesentlich mehr als der EuGHMR wirtschaftliche Rechte berücksichtigen muss (Ferrero-Waldner).



[1]             Der Autor ist Wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Europarecht der Universität Osnabrück, Redaktionsassistent beim Deutschen Verwaltungsblatt - Hauptschriftleitung, und freier Mitarbeiter in der Rechtsanwaltskanzlei Dr. Funk, Prof. Dr. Tenfelde & Partner GbR in Osnabrück.

[2]             Ausführlich Grabenwarter, DVBl. 2001, 1 ff.; P. Szczekalla, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Umweltrecht, CD ROM-Ergänzung, § 12 Abschn. D Rn. 71 ff. (i.E., der Text der Charta wird als Anhang E mit abgedruckt).

[3]             CHARTE 4487/00 CFR/wk 1 JUR DE, ENTWURF DER CHARTA DER GRUNDRECHTE DER EUROPÄISCHEN UNION, Fundamental.rights@consilium.eu.int, Brüssel, den 28. September 2000 (OR. fr) CHARTE 4487/00, abgedruckt in EuGRZ 2000, 554 ff. (mit den Erläuterungen des Präsidiums v. 11.10.2000, CHARTE 4473/00 CONVENT 49, ebd., 559 ff.) und in der Sonderbeilage zu NJW, EuZW, NVwZ und JuS 2000 (mit den Erläuterungen und mit einer Einführung von Hilf, ebd., S. 5 f.). Charta und Erläuterungen finden sich auch im Internet unter den URL (Uniform Resource Locator) http://db.consilium.eu.int/df/docs/de/CharteDE.pdf bzw. http://db.consilium.eu.int/dfdocs/de/04473DE.pdf (als pdf-Dateien [Portable Document Format] zum Lesen bzw. Downloaden [Herunterladen]).

[4]             S. DIE PRESSE v. 18.12.2000 ("Papst enttäuscht über EU-Charta"). Der Papst kritisiert u.a. den fehlenden Gottesbezug (außer vielleicht in der deutschen Textfassung) sowie den wenig mutigen Schutz der Rechte der Person (Art. 2) und der Familie (Art. 7 - http://www.diepresse.at/archiv.taf?_function=read&_id=716963). Vgl.a. Joseph Kardinal Ratzinger, Europas Kultur und ihre Krise. Die EU kann sich nicht nur geografisch und wirtschaftlich bestimmen. Die christlichen Wurzeln des Kontinents sind leider nur unzureichend in der Grundrechtscharta formuliert, Die Zeit Nr. 50 v. 07.12.2000 (http://www.zeit.de/2000/50/Kultur/200050_ratzinger.html); Zewell, Rheinischer Merkur Nr. 40 v. 06.10.2000 ("Fauler Kompromiss" - http://www.merkur.de/archiv/neu/rm_4000/cw/kath3.html).

[5]             Gemeint ist wohl "A clouded summit. Sins of omission and commission at Nice", The Times No 67,010 v. 12.12.2000 (http://www.thetimes.co.uk/article/0,,56-49950,00.html): "Mr Blair may be … wrong not to have vetoed the EU's otiose new Charter of Fundamental Rights". S.a. den leading article "Charter of trouble. Blair must avoid a vague compromise on rights in Biarritz", The Times No 66,957 v. 13.10.2000 (http://www.thetimes.co.uk/article/0,,19072,00.html). Anders aber David Pannick QC, "The minister is wrong to mock this charter", The Times No 66,998 v. 28.11.2000 (Law - http://www.thetimes.co.uk/article/0,,41984,00.html). "Belanglos" soll die Charta indes auch nach einem Leitartikel in der österreichischen Tageszeitung "Die Presse" sein, s. Andreas Unterberger, "Europa hat eine Chance vertan. Die Grundrechte sind viel wichtiger, als die neue EU-Charta ahnen läßt. Sie ist weitgehend belanglos", Ausgabe v. 09.12.2000 (http://www.diepresse.at/archiv.taf?_function=read&_id=715687).

[6]             Zuerst EuGH, U.v. 23.04.1986 - Rs. 294/83 (Parti écologiste «Les Verts »/EP), E 1986, 1339, 1365 Rn. 23. Ebenso EuGH, B.v. 13.07.1990 - Rs. C-2/88 (Zwartveld), E 1990, I-3365, 3372 Rn. 16; GA v. 14.12.1991 - GA 1/92, E 1991, I-6079, 6102 Rn. 21 - EWR-GA-I; U.v. 23.03.1993 - Rs. C-314/91 (Beate Weber/EP), E 1993, I-1093, 1109 Rn. 8.

[7]             So die ursprüngliche Bezeichnung ("body"), die aber sehr bald - eigenmächtig - abgeändert wurde.

[8]             S.a. dens., Ein Versuch, zwischen anonymen Politagenturen in Brüssel und dem EU-Bürger Vertrauen zu bilden. Grund- und Freiheitsrechte werden durch Charta "sichtbarer", Wiener Zeitung vom 17.11.2000 (http://www.wienerzeitung.at/frameless/suche.htm?ID=114666 oder 114636).

[9]             Österreichischer MdEP von den Grünen, der im Konvent mitgearbeitet hat. S.d. etwa DIE PRESSE v. 27.09.2000 ("Präsidialer Geheim-Bazar" - http://www.diepresse.at/archiv.taf?_function=read&_id=702853).

[10]            Vgl.a. dens., Fn. 3, u. F.A.Z. Nr. 284 vom 6.12.2000, S. 11..

[11]            So die st.Rspr.d. EuGHMR zur EMRK seit U.v. 25.04.1978 (Tyrer/VK), Serie A Nr. 26, S. 15 f. § 31 = EuGRZ 1979, 162 -  Prügelstrafe auf der Isle of Man. Zuletzt etwa EuGHMR, U.v. 23.03.1995 - 40/1993/435/514 (Loizidou/T), E 310, S. 26 § 71 I = ÖJZ 1995, 629 - Eigentum in Nordzypern (Vorabeinreden).

[12]            S.a. dens., 37 CML Rev. (2000), 1307 ff.

[13]            S. Alston/Weiler, An 'ever closer union' in need of a human rights policy: the European Union and human rights, Harvard Jean Monnet Working Papers 01/99. S.a. Alston (ed.), The EU and Human Rights, Oxford 1999.

 

[14]            U.v. 18.06.1991 - Rs. C-260/89, E 1991, I-2925 - Griechisches Rundfunkmonopol.

[15]            U.v. 24.11.1993 - 36/1992/381/455-459, Serie A Nr. 276 - Österreichisches Runfunkmonopol.

[16]            EuGH, U.v. 30.04.1996 - Rs. C-13/94 (P./S. und Cornwall County Council), E 1996, I-2143 - Transsexuelle, einerseits, und EuGHMR, U.v. 30.07.1998 - 31-32/1997/815-816/1018-1019 (Sheffield und Horsham/VK), E 1998, 2011 = ÖJZ 1999, 571 - Transsexuelle-V.

[17]            "Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muss der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben".

[18]            U.v. 24.11.1998 - Rs. C-274/96, E 1998, I-7637 - Gebrauch von Minderheitensprachen im Strafverfahren.

[19]            SA v. GA Francis Jacobs v. 09.12.1992 - Rs. C-168/91, E 1993, I-1198 (1211 f. Rn. 46) - Transkription. Kritisch dazu Griller, 12. ÖJT, I/2, S. 36 f. (37 Fn. 138 a.E.).

[20]            U.v. 29.05.1997 - Rs. C-299/95, E 1997, I-2629.

[21]            BVerfGE 37, 271; 73, 339; EuR 1995, 91 bzw. EuGRZ 2000, 328.

[22]            U.v. 06.06.2000 - Rs. C-281/98, DVBl. 2000, 1268 - Sprachprüfung.

[23]            B.v. 10.03.1999 - B 2251/97 u.a., EuGRZ 1999, 365 - Erstattung von Energieabgaben als Beihilfe (Rs. C-143/99 [Adria-Wien Pipeline Ges.m.b.H. u. Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke Ges.m.b.H./Finanzlandesdirektion Kärnten]).

[24]            U.v. 08.12.1999 - 28541 (Pellegrin/It), NVwZ 2000, 661, §§ 66 f. = ÖJZ 2000, 695 - Restriktiver Öffentlicher Dienst-Vorbehalt bei Art. 6 Abs. 1 EMRK (Frz. Regierungsberater).

[25]            U.v. 18.02.1999 - 24833/94, EuGRZ 1999, 2000 - Wahlrecht zum EP auf Gibraltar.

[26]            ZE v. 10.06.1958 - 235/56 (X/D), Yb. 2, 256 - Restitutionsausschluss (Fluchtsteuer). S.a. ZE v. 09.02.1990 - 13258/87 (M. & Co./D), DR 64,138 - "Solange II" (Melchers).

[27]            U-v- 15-11-1996 - 45/1995/551/637, E 1996, 1614 = EuGRZ 1997, 193, m.Anm. Winkler, ebd., 181 = ÖJZ 1997, 579 - Arzneimittelverkauf im Supermarkt.

[28]            Zugänglichkeit nicht einmal über das - ansonsten vorzügliche - Informationssystem HUDOC (Human Rights Documentation) gegeben (http://www.echr.coe.int/Hudoc.htm).

[29]            U.v. 18.02.1999 - 26083/94, EuGRZ 1999, 207 = ÖJZ 1999, 776 = NJW 1999, 1173 = NVwZ 1999, 517 L - ESA (AÜG)-I.

[30]            U.v. 18.02.1999 - 28934/95 - ESA (AÜG)-II. Die "alternative means", das ESA review board, sei inzwischen erfolglos angerufen worden, weil die Bf. keine staff members seien, sondern Computer-Leiharbeitnehmer. Vielleicht komme der Fall ja noch einmal vor den Gerichtshof, so Ress, es sei denn, die bloße Existenz eines Gerichtes reiche.

[31]            S. die Zustellungsentscheidung v. 04.07.2000 (S III) - 56672/00 (Senator Lines GmbH [vormals Senator Lines]/15 EU-Staaten), EuGRZ 2000, 334 - Kartell-Geldbuße und Versagung vorläufigen Rechtsschutzes.

[32]            Vgl.d. EuGH, B.v. 04.02.2000 - Rs. C-17/98 (Emesa Sugar NV/Aruba), EuGRZ 2000, 210 - Kein Recht auf Stellungnahme zu den SA des GA. Hier habe sich die Klägerin ausdrücklich auf die Rechtsprechung des EuGHMR betr. die Staatsanwaltschaft beim frz. Kassationsgerichtshof berufen (U.v. 20.02.1996 [Vermeulen], E 1996, 224). Der Fall liege aber insofern anders, als der Staatsanwalt dort an der Beratung teil nehme, der Generalanwalt hingegen nicht. Kritik am EuGH bei Schilling, ZaöRV/HJIL 60 (2000), 395 ff.

[33]            EuGH, U.v. 21.09.1989 - verb.Rs. 46/87 u. 227/88, E 1989, 2859 - Kein Schutz von Geschäftsräumen-I.

[34]            EuGHMR, U.v. 16.12.1992 - 72/1991/324/396 (Niemietz/D), Serie A Nr. 251-B = EuGRZ 1993, 65 = NJW 1993, 718 = ÖJZ 1993, 389 = JBl. 1993, 451- Anwaltskanzleidurchsuchung.

[35]            EuGH, U.v. 17.02.1998 - Rs. C-249/96, E 1998, 621 = EuZW 1998, 212, m.krit.Anm. P. Szczekalla, ebd., 215 - Fahrpreisermäßigung für lesbische Lebenspartnerin.

[36]            KomMR, Ber.v. 01.07.1997 - 25186/94 (Sutherland/VK), §§ 50 f., 57 - Strafbarkeit der Homosexualität-V (U 18).

[37]            Nach Matscher seien "echte Konfliktfälle" die Ausnahme.

[38]            S.o., Fn. 21.

[39]            § 8 Bezügebegrenzungsgesetz als Bundesverfassungsgesetz. (und damit selbst in Verfassungsrang stehend). Betroffen sind Beamte mit Bezügen von mehr als 80.000 ATS (ca. 14.200 DM oder 7.270 €). Dazu jetzt östVfGH, EuGRZ 2001, 83 ff. (Vorlagebeschluss vom 12.12.2000 - KR 1/00, RH/ORF; Rs. C-465/00).

[40]            S. etwa DIE PRESSE v. 18.10.2000 (http://www.diepresse.at/archiv.taf?_function=read&_id=706851), wo Präsident Adamovich von einem "handfesten Problem" spricht und verlangt, verfassungsrechtlich sicherzustellen, dass der VfGH die Charta anzuwenden hat. (a.E.).

[41]            Beispiel: Der gemeinschaftsrechtliche Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht, s. Leonhard/P. Szczekalla, UR 2000, 195 ff.; dies., NWB 2000, 2345 ff. Dazu jüngst BFH, Vorlagebeschluss vom 30.11.2000 - VR 30/00, n.n.v.

[42]            Noch weitergehend P. Szczekalla (Fn. 2) § 12 Rn. 31 m.w.N.

[43]            Im Sinne von die Not wendend. Eine Rechtsordnung ohne ausreichenden Grundrechtsschutz (materiell und prozessual) ist nämlich not-leidend.

[44]            "Stoff für Habilitationen, wenn es sie denn noch geben wird".

[45]            S. dazu bereits Griller, 12. ÖJT, I/2, S. 15 f. (16). Das gilt insbesondere beim Konflikt zwischen sog. Abwehrrechten und Schutzpflichten (zu solchen im geltenden Gemeinschaftsrecht P. Szczekalla, DVBl. 1998, 219 ff.).

[46]            Zum Streitstand s. P. Szczekalla, EuR 1999, 325 (325 f.) m.w.N.

[47]            Vergleichbar der - verfassungsprozessualen - Subsidiaritätsrechtsprechung des BverfG. Vgl. dazu Rengeling/P. Szczekalla, Everling-FS, Bd. II, S. 1187 ff. Ähnlich jetzt Reich, ZRP 2000, 375 ff.





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© und erstellt von Dr. Peter Szczekalla